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Respektvoll "La Classicissima" genannt und seit 1907 ausgetragen ist Milano - Sanremo (Mailand - San Remo) eines der fünf berühmtesten Eintagesrennen, der sog. Monumente des Radsports! Dabei ist es mit über 290 km das längste Eintagesrennen im Profi-Radsport! Dieser Klassiker wird auch "La Primavera" (Fahrt in den Frühling) genannt, da er alljährlich im März ausgetragen wird. Und als Monument des Radsports wird er bezeichnet, weil er sich durch zwei Faktoren auszeichnet: Das Alter und die illustre Siegerliste :-) Und darum wollen auch wir daran teilnehmen ...
... allerdings haben wir uns für die später im Jahr auf der Originalstrecke stattfindende Amateur-Version des Lieblingsrennens von Erik Zabel entschieden. Wann und wie uns die Idee zur Teilnahme kam, ist im nachhinein nicht mehr zu klären. Letztlich war's wohl irgendwann im Winter, als wir auf der 200 Meter Bahn der Münchener Werner von Linde Halle einsam unsere Runden drehten.
Für die Teilnahme am Rennen finden sich schnell mehrere Interessierte.
Nachdem die Teilnahmebedingungen bekannt sind entscheiden sich Christoph, Hans Dietmar, Michael und Thomas dafür, die Distanz von 298 KM in Angriff zu nehmen. Christoph meldet uns als offizielle Teilnehmer des RC Concordia München an und organisiert sonst allerlei mit dem Veranstalter des Rennens, der Unione Ciclo-Turistica Sanremo
Bei ein paar Treffen diskutieren wir ausgiebig über die Organisation unseres Trips. Da wir nicht genau wissen, was uns erwartet, entscheiden wir uns für eine gemächliche An- und Abreise mit dem Auto. In den VW Touran von Christoph passen tatsächlich vier Rennräder und deren Besitzer, sowie unser spärliches Gepäck hinein.
Die Anreise von München nach Mailand soll am Freitag stattfinden. Für Samstag planen wir die geruhsame Überführung des Wagens zum Zielort Sanremo. Sonntag würden wir das eigentliche Radrennen und Montag die Rückreise in die Heimat bestreiten. Das Hotel am Startort haben wir vorab, das Hotel in Sanremo vor Ort gebucht.
[Freitag, 10.6.05 - Anreise]
Christoph sammelt uns drei ein und wir beladen den Touran. Den Sitz hinten in der Mitte haben wir ausgebaut. Drei Räder laden wir der Länge nach durch, das vierte Rad steht quer im Kofferraum. Die Laufräder und unser Gepäck verteilen wir in den Lücken.
Dann geht es über Garmisch, den Zirler Berg und Innsbruck über den Brenner nach Sterzing. Natürlich nicht ohne vorher bei der "Mumie", einem skurrilen Shop für Radklamotten am Brennerpass gestoppt zu haben. In Sterzing machen wir gepflegt Mittagspause in einem Restaurant mit den typischen Tiroler Spezialitäten: Lecker:-) Über die Autobahn geht es ganz locker weiter. Nur um Mailand herum wird der Verkehr etwas dichter. Wir erreichen unsere Bleibe, das Hotel Forum in Rozzano, ca. 20 km südlich von Mailand, wo Sonntag auch das Rennen startet. Die Zimmer sind perfekt für Radsportler. Geräumig, gefliester Fußboden, eben ganz so, wie eine Fahrradwerkstatt auszusehen hat... Abends fahren wir ins 30 KM entfernte Pavia zum Abendessen, da Rozzano so etwas wie Mailands Bronx bzw. Münchens Hasenbergl ist :-) Dort laufen wir etwas durch die Stadt und finden einen tollen Platz mit Pizzeria. Hier tobt der Bär, diese Pizzeria ist "the place to be". Die Pizzen schmecken in so einer Atmosphäre doppelt gut.
[Samstag, 11.6.05 - Logistik]
Da wir ohne Begleitfahrzeug unterwegs sind, müssen wir uns noch um den Touran kümmern, denn der soll Sonntag Abend in Sanremo am Hotel stehen. Nach einem typisch italienischen Frühstück - wir planen schon den Kauf von mehreren Kilogramm Müsli! - holen wir an der Kartrennbahn "Big", an der das Rennen auch startet, unsere Startunterlagen ab. Das Trikot - welches wir noch in der Größe tauschen können, die Transponder, bisschen Verpflegung etc. Bei der Anmeldung kommen wir mit anderen Fahrern ins Gespräch: Das Fahrerfeld ist international gemischt (CH, D, F, NL, B, SP, A etc.) Einige Belgier erzählen was vom 32er Schnitt und dass Du an der Küste "met wind op de kop" fährst. Noch sind wir beeindruckt.
Danach fahren wir mit dem Touran auf der Autobahn nach Ovada, wo wir auf die Originalstrecke wechseln. Wir wollen uns die Überfahrt über den Turchino ansehen. Hier treffen wir auch einige Radgruppen an, die ihr Versorgungsfahrzeug am Pass stehen haben und den Pass schon mal abfahren.
Ab Genua verläuft die Strecke an der Küste entlang. Wir wollen eigentlich noch Cipressa und Poggio ansehen, denn vor diesen giftigen Steigungen haben wir doch einen Heidenrespekt. Doch die Zeit drängt.
In Sanremo angekommen ist gleich das erste Hotel der Volltreffer! Nahe am Bahnhof und der Küste gelegen (mit Meerblick!), mit einem Abstellplatz für den Touran bis Montag und zwei äußerst netten alten Grazien; klar, das Hotel hieß Graziella :-)
Bei Pasta an der Hafenpromenade loten wir die Stimmungslage aus: eigentlich ist die Stimmung gut, nur macht uns das Wetter und der Gegenwind Sorgen. Naja, zuerst geht es mit der Bahn direkt am Meer entlang und dann mit dem Taxi zurück ins Hotel nach Rozzano, wo die Räder ungeduldig warten.
Am Körper tragen wir jetzt die ältesten Klamotten, die wir besitzen. Diese werden wir im Hotel in Rozzano zurücklassen, denn auf Gepäck während des Rennens wollen wir verzichten.
Abends suchen wir noch das Restaurant-Cafe von Marianna auf, eine Empfehlung des Hotelportiers. Dort sind wir wirklich mitten im italienischen Leben der Hasenbergl-Bronx von Mailand!
[Sonntag, 12.6.05 - Das Rennen]
Im Forum Hotel übernachten über 30 Fahrer des Rennens, so gibt es morgens um 5:30 Pasta, belegte Brote, Müsli und den italienischen Standard zum Frühstück. Wir rollen zum Start, der nicht weit entfernt ist. Dort reihen wir uns nach der Initialisierung der Transponder ins Starterfeld ein. Es gilt: first come, first out. Pünktlich geht es los und wir stürmen mit dem Feld voran. Der Tacho zeigt 47 km/h, manchmal 50 km/h. Im Windschatten des riesigen Fahrerfelds kein Problem. Leider muss Michael ziemlich bald zum unprofessionellen Austreten anhalten. Das Feld rast unerbittlich weiter und der Arme steht vor der fast unlösbaren Aufgabe wieder Anschluss zu finden. Nach einem viertelstündigen "Einzelzeitfahren" kann er sich schliesslich ziemlich erledigt und mit hängender Zunge hinten im Peloton einreihen. Respekt! Gute Leistung!!!
Das Wetter wird sich noch in der Po-Ebene zu Sonnenschein und 25 Grad durchringen. So rauschen wir mit 800 Fahrern über voll gesperrte Strassen die ersten 120 km dahin, nur unterbrochen durch paar Ortsdurchfahrten. Tausende jubelnde Menschenmassen applaudieren dabei an den Strassenrändern! ... naja, vielleicht etwas übertrieben ausgeschmückt ;-)
Wir erreichen Ovada, wo die Turchino-Auffahrt startet. Unser kleines Team fliegt nur so an versprengten Fahrern und kleinen Gruppen vorbei und wir streben der ca. 150 Fahrer umfassenden Spitzengruppe entgegen, die sich am Anstieg abgesetzt hat.
Ein gerissener Schaltzug lässt uns den Anschluss an die Spitzengruppe verlieren. Wir versuchen bei einem der Service-Motorräder und auch bei Begleitfahrzeugen anderer Teams einen Ersatzzug zu organisieren. Erfolglos! Niemand hat so ein Teil dabei bzw. will es rausrücken. So quält sich Thomas die letzten 160 km mit nur 2 Gängen weiter: 39/14 und 53/14 (Christoph hat das Schaltwerk auf dem 14er Ritzel fixiert.) Mit diesem Handicap ist an eine Spitzenposition nicht mehr zu denken. Am Pass oben ist es bewölkt, aber trocken. Wir versorgen uns mit Wasser und essen einen Riegel während wir auf Thomas warten. Nach der Abfahrt , die Thomas mit einem Abstecher in eine Bushaltestelle souverän hinter sich bringt, finden wir uns in einer Gruppe wieder, die aus ca. 15 Fahrern besteht. Vor dieser Gruppe hält ein laut hupendes Motorrad mit Fahnen die Kreuzungen frei und stoppt den Gegenverkehr; der Rücken wird uns durch eine mit Sirene fahrende Ambulanza freigehalten. So rasen wir mit 35-45 km/h durch die Städte und an der Küste entlang! Das ist schon Wahnsinn. Dabei machen wir vier Concordianer mächtig Dampf und liefern eine gute Führungsarbeit ab.
Nur die Versorgungsstation Spotorno bei km 205 und unsere leeren Trikottaschen lassen uns eine Pause einlegen. Wir ziehen Zwischenbilanz: es läuft super gut bisher, der Gegen-/Seitenwind hält sich in Grenzen, die Sonne liefert bis zu 30 Grad! Allerdings weicht die Euphorie, als wir zu viert einen eigenen Zug aufmachen; ohne führendes Motorrad und schließende Ambulanza. Auf der weiteren Fahrt immer direkt an der Küste mit spektakulärer Kulisse sammeln wir wieder einige Fahrer auf.
Dann geht es nach palmenbestandenen Strandboulevards in die Capi: Zuerst Mele, dann Cervo. Hier gibt es wieder Verpflegung , wir machen aber selbstverständlich nur wegen der tollen Aussicht auf's Mittelmeer Pause:-) Dann geht's wieder die Küstenstrasse hinab Richtung Capo Berta.
Wir verabreden bis zur Cipressa zusammen zu bleiben, danach soll jeder fahren wie er will und kann. Auf dem Poggio wollen wir dann wieder zusammentreffen, um gemeinsam über die Ziellinie in San Remo zu rollen.
Leider ist unser Info-Material fehlerhaft: Es weist oben auf der Cipressa eine Kontrolle und das Ziel in Sanremo aus. Richtig ist aber, dass bereits auf dem Poggio das Ziel ist.
Bei inzwischen 30 Grad steigen wir alle gemeinsam in die Cipressa ein: Schnell setzen sich Christoph und Hans Dietmar ab; allerdings schließt Thomas (mit seinem 'leichten' Gang!) noch einmal auf, bevor Hans Dietmar und Christoph sich langsam davon machen. Michael fällt zurück. Seine Aufholjagd zu Beginn des Rennens hat einfach zu viel Körner gekostet. Die Cipressa erreicht Hans Dietmar als Erster. Mit etwas Abstand folgen Christoph und danach Thomas. Wir registrieren die fehlende Kontrolle und machen uns auf die Abfahrt. Dort kommt es zwischen Christoph und Thomas zum Zusammenschluss. In den rund 13 km am Meer entlang kämpft sich Hans Dietmar allein Richtung Poggio. Christoph und Thomas bilden eine Zweiergruppe und können sich so wenigstens ab und an im Windschatten des anderen ausruhen. Michael ist weiter zurück und versucht sich erneut in seiner Spezialdisziplin, dem Einzelzeitfahren. Am Fusse des Poggio ist jeder auf sich allein gestellt. Nach 290 KM stellt dieser eigentlich gar nicht so steile und lange Anstieg doch eine echte Herausforderung dar
Hans Dietmar erreicht das Ziel, welches sich zu unser aller Überraschung auf dem Poggio und nicht in San Remo befindet, nach 8:55 reiner Fahrzeit. Eine Minute später überquert Christoph, eine weitere Minute später Thomas die Ziellinie. Weitere sechs Minuten danach kommt Michael an.
Nach gegenseitigen Gratulationen und den üblichen Siegerphotos fahren wir zusammen hinunter nach Sanremo zur Pasta Party.
Allmählich reicht's uns jetzt auch mit Rennradfahren. Wir wollen endlich zu unserem Hotel, wo der Touran mit frischen Klamotten wartet. Relaxen ist angesagt. Wir sind mit dem Fahrrad zum Mittelmeer gefahren und nun wollen wir natürlich auch da rein. Das Wasser ist kalt, aber das Bad ist zusammen mit dem anschließenden Jubel-Bier genau der richtige Abschluss eines fantastischen Renntages.
[Montag, 13.6.05 - Heimreise]
Wieder ein italienisches Frühstück, dann Beladen des Turan und Abfahrt, zuerst noch mal über den Poggio mit Blick zurück auf Sanremo. Aus Zeitgründen haben wir uns gegen den Colla di Tenda und Weinproben im Piemont entschieden; so geht es auf direktem Weg über Mailand und Verona Richtung Brenner, vorher nur unterbrochen durch einen Autogrill-Stopp und eine Pasta- und Pizza-Pause in Terlan, und über Zirler Berg und Garmisch nach München, wo wir die restlichen Euro der Club-Kasse plündern und zusammen Eis essen gehen.
Fazit
Unbedingt wiederholen! Und zwar möglichst in Mannschaftsstärke, also mit mindesten acht Rennfahrern.
Zu verbessern ist die Verpflegung und Versorgung durch ein Begleitfahrzeug; das kann eine Stunde Pause sparen. Dann ist es auch möglich, Kleidung, Werkzeug, Ersatzteile nicht im Trikot verstauen zu müssen. Außerdem kann ein Tag der Anreise (Überführung des Touran von Milano nach Sanremo) gespart werden.
Als vorteilhaft hat sich bei unserer gut harmonierenden, kleinen Gruppe der Fraktionszwang herausgestellt. Zu viert konnten wir in jeder Gruppe vorne fahren und das Tempo bestimmen. Bei Defekt konnten wir gemeinsam aufholen und an vorne Fahrende aufschliessen.
Gekostet hat das ganze Arrangement inkl. Automiete, Sprit, Vignetten und Autobahngebühren, 3 Übernachtungen mit Frühstück, Startgebühr, Bahn- und Taxifahrt, 5 Mahlzeiten, div. Stopps am Autogrill ca. 480 Euro.
Wir sind 8:55 netto und 9:49 brutto unterwegs gewesen; das entspricht einem Schnitt von 32.3 km/h bzw. 29.3 km/h auf 287.6 km. Es galt 1774 Hm zurückzulegen.
Tabelle
Hier ein Auszug aus der offiziellen Ergebnisliste des Veranstalters.
Gestartet sind rund 800 Fahrer und Fahrerinnen; wer nach 17:00 an der Cipressa ankam, wurde nicht mehr über Cipressa und Poggio di Sanremo geleitet und taucht in der Tabelle nicht auf, da die Zeitnahme auf dem Poggio stattfand.
Bericht & Photos by Hans Dietmar Jäger/Thomas Marx · © 2005
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